
Ein blinder Fleck der Verwaltungsjuristen?

Ein erfahrener Richter für Zivilrechtssachen hat mir bei einer "Audienz" im Justizpalast seinerzeit den weisen Rat gegeben: Herr Kollege, wenn sie ein Urteil verfassen, vergessen sie niemals darauf, aus dem Bauch heraus zu prüfen, ob ihre Entscheidung im Ergebnis noch vertretbar ist.
Diesen salomonischen Zugang vermisse ich bei manchen hochkarätigen Professoren des Öffentlichen Rechts, wiewohl ich einige persönlich von der Uni kenne und wirklich respektiere.
Einer von ihnen, dessen Vorlesungen so großartig, praxisnah und humorvoll waren, dass ich dafür ausnahmsweise immer extra ins Juridikum angereist bin, hat im Zusammenhang mit dem angeblichen Amtsmissbrauch durch eine Bundesministerin zum Renaturierungsgesetz diese zwar von jedem diesbezüglichen Verdacht freigesprochen, jedoch in einem Nebensatz festgestellt, dass der ablehnende Beschluss der Länderkammer grundsätzlich sehr wohl Bestand habe, zumal der abweichenden Stellungnahme von zwei Landeshauptleuten, nota bene im ORF, keinerlei rechtliche Bedeutung zukäme. Bitte, mit Verlaub: das geht meines zivilrechtlich geprägten Erachtens gar nicht, wenn man ein bisserl über den Tellerrand hinausschaut!
Natürlich haben Formvorschriften ihren Sinn, aber sie sind kein Selbstzweck. Außerdem sollte man sich selbst als Verwaltungs- und Verfassungsrechtlicher fragen, was der historische Gesetzgebers mit seinen Vorschriften bezwecken wollte, besonders in äußerst dünn reglementierten Materien.
Geht man davon aus, dass die Zuspielung im Fernsehen kein Fake-Video war, und die Aussage des Landeshauptmannes "realpolitisch auch zurechenbar" ist, also stimmt und gilt, was er sagt, dann tut sich sofort ein Widerspruch mit einem der Grundprinzipien unserer Rechtsordnung auf, das vielleicht so nicht in den Gesetzen steht, aber existenziell wichtig für deren Funktionieren ist: die Weisheit der Regeln muss nachvollziehbar sein. Wie erklärt man hier aber einem Kind, dass die Landeshauptleutekonferenz "juristisch" einer Meinung sein soll, obgleich ein sehr mächtiger Politiker das Gegenteil gerade öffentlich über die Medien verkündet.
Die Situation erinnert ein bisschen an das mit der Hand erzielte Tor von Argentinien gegen Deutschland bei einer Fußballweltmeisterschaft, wo die Verantwortlichen auch nicht vom Mantra "Schiedsrichterentscheidung seien Tatsachenentscheidungen" abgehen wollten. Pädagogisch wertvolle Erkenntnis für die (jungen) Fans: Unrecht kann sich durchaus auszahlen, Schummler können sogar Weltmeister werden, selbst wenn die ganze Welt in unzähligen Zeitlupen gesehen hat, dass das vermeintliche Tor völlig regelwidrig war!
Die Beachtung der Rechtsordnung setzt aber generell ein Vertrauen der Normunterworfenen in die Sinnhaftigkeit der Regeln voraus. Sonst macht schließlich jeder, was er will, wie im Straßenverkehr nicht selten zu beobachten ist.
Natürlich haben Formvorschriften ihre Berechtigung, sie schützen bei Abstimmungen nicht bloß vor Fälschungen, sondern es macht demokratiepolitisch überdies Sinn, eine gemeinsame Erörterung zur Meinungsbildung sicherzustellen, grundsätzlich. Nur demgegenüber stehen im konkreten Fall vermutlich zwei viel größere demokratische "Sündenfälle". Erstens, dass eine Mehrheit eine neuerliche Abstimmung einfach nicht zulässt, damit die Minderheit sich nicht mehr artikulieren kann und stattdessen an die Öffentlichkeit gehen muss, um aussprechen zu können, dass sie (nunmehr, nach etlichen Adaptierungen des Textes) für einen gemeinsamen Europäischen Weg der Renaturierung ist.
Die Schönheit der Rechtsordnung zeigt sich oft auch dadurch, dass man salomonische Ergebnisse auf mehrfache Weise absichern kann: so einseitig, wie zweitens von den Gegnern des Renaturierungsgesetzes Argumente dagegen vorgeschoben wurden, indem man öffentlich etwa nur auf die Kosten verwies und die vielfach höheren Einnahmen nicht einmal erwähnte, gibt es vermutlich einige juristische Hebel, um diese ablehnende Stellungnahme der Länderkammer wegen schwerwiegender Verfahrensmängel, konkret Desinformation durch Lobbys, wie vom WWF akribisch nachgewiesen, von Grund auf anzufechten, zumindest wenn man bereit ist, allgemeine Rechtsgrundsätze analog auf lückenhaft geregelte Verfahren anzuwenden.
Im Ergebnis, und da sollten sich Rechtspositivisten und Natur- / Zivilrechtler einig sein, zählt jedenfalls, dass die Rechtsordnung respektiert wird, um ihre Schutzfunktion für ein friedliches Zusammenleben aller erfüllen zu können, besonders auch von Politikern aller Couleurs. Und nicht nur dann, wenn die Vorschriften für die Parteitaktik zufällig gerade vorteilhaft sind. Aber es gibt Parteien, die sind sehr wehleidig und nachtragend bei Insubordination...
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