Milchmädchenrechnungen eines Volkskanzlers
Rhetorische Begabung ist manchen Populisten wohl nicht abzusprechen. Mathematisch logisch hat sich einer, der sich selbst zum Volkskanzler hochstilisiert, vor der letzten Nationalratswahl in einem langen Interview auf Ö3 wohl nicht gerade für höhere Aufgaben empfohlen.
So meinte er, die bevorstehende Wahl sei hinsichtlich der Kanzlerfrage mit einem Skibewerb zu vergleichen, wo ja auch nicht die Punkte der Verlierer zusammengezählt würden, um gemeinsam den besten Teilnehmer schlagen zu können.
Der selbsternannte Volkskanzler übersieht hier (vielleicht bewusst), dass er für den Posten des Bundeskanzlers entweder die absolute Mehrheit erreichen, oder sich andernfalls zusätzlich quasi einer zweiten Wahl stellen muss, nämlich der, einen Koalitionspartner zu finden. Und in diesem "zweiten Durchgang" kann es sich dann halt rächen, wenn man sich den Applaus mancher WutbürgerInnen durch plumpes Verächtlichmachen seiner Mitbewerber erkauft hat, die dann natürlich sagen: "na sicher net".
Was dem Abfahrer die Kraft in den Oberschenkeln, dem Autorennfahrer der Sprit, das sollte dem siegessicheren Volkskanzler die Unterstützung für demokratische Mehrheiten sein. Hat man nicht soweit gedacht (oder eh geahnt, dass es sich nicht ausgeht), kann man natürlich auch frech fordern, dass die Ziellinie nach vorne verlegt wird, um doch noch zu gewinnen. Und es gibt ja genug Unterstützer, die glauben, dass 30 % eine regierungsfähige Mehrheit ist.
A propos Milchmädchenrechnung: Wer so wie er im Interview überdies meint, bei lediglich 0,17 % Beitrag Österreichs zum weltweiten CO2 Ausstoß bringe ein Bemühen um Reduktion nichts außer Wettbewerbsnachteile, mag vielleicht bauernschlau sein, weil viele WutbürgerInnen genau das hören wollen, da sie nicht im Entferntesten daran denken, auf irgendjemanden oder irgendetwas Rücksicht zu nehmen. Er übersieht jedoch gekonnt, dass auch Kleinvieh Mist macht. Und wenn viele kleine Treibhausverursacher nichts an ihrem Verhalten ändern wollen, weil es andere auch nicht tun, kann das für die diversen Kipppunkte des Klimas verheerende Folgen haben. Schließlich entscheidet es sich manchmal auf den letzten Zentimetern, ob das Hochwasser in den Keller eindringt oder nicht.
Der Politiker hat jedoch viel mehr Angst vor einem Beitritt der Ukraine zur EU. Denn gefährlich sind nicht die blitzschnellen Gleit- und Atombomben von kriegstreibenden Kleptokraten, (zumindest wenn die eigene Partei dereinst einen Freundschaftsvertrag mit ihnen abgeschlossen hat,) sondern das Getreide des brutal überfallenen Landes... für unsere Bauern, das ihnen nach vielleicht jahrzehntelangen Beitrittsverhandlungen völlig überraschend auf den Kopf respektive auf den gemeinsamen Markt fallen könnte! Und da nach dem Chaos in Großbritannien nicht einmal mehr seine eigene Partei ihre langjährige Forderung nach einem Öxit für eine gute Idee hält, wäre man dem Nahrungsmittel, auf das Millionen hungernder Menschen angewiesen sind, dann geradezu schutzlos ausgeliefert. Da kann man natürlich nur hoffnungsvoll rufen: Volkskanzler, rette uns!