
Von anderen Berufsgruppen lernen

Erfahrungsgemäß scheinen manche Menschen ihr gesamtes Selbstvertrauen auf die angenehme Annahme zu stützen, dass sie alles besser wissen als andere. Diese intellektuelle Überlegenheit trifft dann selbstredend auf sämtliche Lebensbereiche und Fachgebiete zu, vielleicht ein Ausläufer des sogenannten "Halo-Effektes", von dem im Wahlfach "Psychologie für JuristInnen" an der Uni dereinst die Rede war.
Auch für tolerante Erkenntnissuchende kann es ziemlich herausfordernd werden, mit solchen Personen zu diskutieren, denn "Ergebnisoffenheit" ist unter diesen Voraussetzungen natürlich nicht zu erwarten, im Gegenteil: Lautstark, wütend, geradezu panisch werden die eigene Meinung samt Weltbild und der vermeintliche Status in der "verbalen Hackordnung" verteidigt sowie Gegenargumente unterbunden, denn wer lässt sich schon gerne sagen, dass er möglicherweise, unter Umständen und rein theoretisch gesprochen: irren könnte?
Mir fallen aber sehr wohl Berufsgruppen ein, die vermutlich sogar dankbar wären für Gegenthesen, zum Beispiel: Fachkräfte vom Entminungsdienst.
Wenn ein Bombenentschärfer irgendetwas übersehen hat und von einem, vielleicht jüngeren Kollegen am Funk gewarnt wird, könnte ich mir als Laie gut vorstellen, dass der sich völlig geschockt einfach nur bedankt, anstatt irgendeinen hierarchischen "Revierverteidigungs-Spruch" vom Stapel zu lassen, nach dem Motto: ich habe schon Bomben entschärft, da hast Du noch in die Windeln ... detoniert.
Wie schon in meinem Beitrag "Der Meinungs-Hunderter" ausgeführt, werden Meinungen oft sehr schnell, aus dem Bauch heraus und ohne sorgfältige Recherche gebildet. Das können wir uns aus Effizienzgründen auch leisten, besonders wenn allfällige Fehleinschätzungen ausschließlich zu Lasten Dritter gehen (zum Beispiel einer Ministerien, deren Partei & Ziele man sowieso nicht mag). Aber wenn das eigene Leben von der Entscheidung abhängt, da wird die Bedeutung des eigenen Ego samt Befindlichkeiten dann doch ein wenig relativiert. Bombenentschärfer müssen, wie vermutlich kaum eine andere Berufsgruppe, für ihre Einschätzungen unmittelbar geradestehen.
Generell scheinen viele Handwerker nach dem Erfolgsrezept "Versuch macht klug" dazuzulernen. Und wenn sie arriviert sind, strahlen sie dann vielleicht eine sympathische Gelassenheit samt uneitler Souveränität aus. Man hat aus seinen persönlichen Niederlagen dazugelernt, und zwar nicht selten auch: Demut.
Denn jeder, der beispielsweise schon elektrotechnisch gebastelt hat, weiß: der Physik ist es völlig egal, ob Du der Meinung bist, die wegstehende Litze vom Stromkabel würde den anderen Pol ohnehin (noch) nicht berühren. Wenn es dann dunkel wird, weil die Sicherung fliegt, erkennt man, dass es der Strom einfach besser weiß und bekommt eindrücklich vor Augen geführt, was die eigene Meinung real manchmal wert ist. Frei nach Darwin könnte man auch die These aufstellen, dass Elektriker, die noch arbeiten, die natürliche Auslese überstanden haben und folglich ihr Handwerk beherrschen.
Hier haben Vertreter der Geisteswissenschaften manchmal einen gewissen Nachteil. Es gibt bestimmt Professoren, die ihr Leben lang irgendwelche gewagten Theorien ventilieren konnten, bloß weil es in ihrem Fachgebiet nicht schlagartig finster wird, wenn jemand einen Blödsinn verzapft.
Das ist vice versa für manche Handwerker ein Problem, die zum Beispiel in der Politik mitgestalten wollen, aber nicht wissen, dass es Fachgebiete gibt, in denen du durch Versuch leider doch nicht klug wirst, weil Fehler keine unmittelbar wahrnehmbaren Folgen zeitigen. Anders als beispielsweise Programmierer ahnen sie nicht, dass manche Vorgänge mit Logik alleine nicht nachvollziehbar sind, sondern etwa auf (im Grunde beliebigen) Definitionen beruhen, die man gelernt haben muss wie eine Programmiersprache. Aber da wir vermutlich alle schon unsere leidvollen Erfahrungen mit Computerproblemen gemacht haben, sind wir vermutlich geneigt, zumindest Softwareentwicklern zu glauben wenn sie sagen, dass etwas halt leider so nicht funktionieren wird.
JuristInnen hingegen kommt hier offenbar weit weniger Grundvertrauen in der Bevölkerung zu, wenn sie warnen, dass man etwas verfahrenstechnisch "so keinesfalls machen" darf. Denn was wissen die schon?!
Etwa, um ein Beispiel aus der Praxis zu nennen, dass man einen verlegten Beschluss eines Gremiums doch besser sucht, anstatt zu glauben, dass man ihn der Einfachheit halber durch einen neuen ersetzen kann wie eine heruntergefallene Schraube durch eine andere.
Wegen der Rechtskraft des Beschlusses (nicht zu verwechseln mit der Beschlussausfertigung, also dem real (zumindest irgendwo) existierenden Zettel zur Beurkundung) sind solche (rein geistigen) Akte manchmal eher mit einer abgebrochen Schraube zu vergleichen, denn die muss man erst mal wegbekommen, aber das behaupten halt nur die Rechtswissenschaftler.
Praktiker lassen sich eher ungerne von einem Theoretiker sagen, dass ihr so pragmatischer Lösungsvorschlag den Nachteil hat, dass er eben leider nicht funktioniert. Dass man Beschlüsse nicht beliebig rückdatieren darf, ist, vergleichbar einer Sperrlinie auf der Straße, praktisch vielleicht kein echtes Hindernis. Wenn sich die Zusammensetzung des beschließenden Gremiums aber mittlerweile verändert hat, könnte es überdies schwer werden, alle Unterschriften zu bekommen, besonders wenn leider nicht mehr alle Mitglieder am Leben sind. Spätestens ab diesem Punkt tendiert die Mehrheit plötzlich wieder in die Richtung, den blöden Wisch doch besser zu suchen, um ihn endlich der Aufsicht vorlegen zu können.
Man sieht also: es gibt eine Menge, was wir alle voneinander lernen können, ganz besonders von anderen Berufsgruppen aufgrund deren unterschiedlichen Blickwinkeln und Erfahrungen. Dies setzt aber natürlich voraus, man hält sich nicht ohnehin bereits für allwissend und somit allen anderen überlegen.
Aktuelles

Grüner Start im Rathaus

Jeder Baum ein Geschenk

Petition - Keine Deponie im Naturschutzgebiet

Dialogveranstaltung in Kritzendorf

Wegelagerer bei der OEBB?
